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RegioTrends

Kreis Emmendingen - Emmendingen

11. Jan 2015 - 23:46 Uhr

Gedanken zum Jahreswechsel 2014/2015 ++ Rede von Pof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker beim Neujahrsempfang Emmendingen

Pof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker beim Neujahrsempfang Emmendingen am 10. Januar 2015

Foto: EMMENDINGER ZEITUNG, Reinahd Laniot
Pof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker beim Neujahrsempfang Emmendingen am 10. Januar 2015

Foto: EMMENDINGER ZEITUNG, Reinahd Laniot

"Herr Oberbürgermeister, liebe Abgeordnete von Bundestag und Landtag, Herr Landrat, liebe Gemeinderäte, m.D.u.H.
Es ist eine große Ehre für mich, Ihnen heute eine kleine Rede zum Jahreswechsel anzubieten. Es war die Idee von Herrn OB Schlatterer, und ich bin ihm sehr dankbar dafür.
Ich spreche heute, in vereinfachender Kürze, von der europäischen Aufklärung, vom Frieden und vom Klimaschutz. Ich beginne aber natürlich mit dem Erschrecken über den Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo.
In einer amerikanischen Zeitung war am Tag danach eine Karikatur zu sehen: 2 Männer, einer mit einem Pinsel, der andere maskiert mit Maschinengewehr. Darunter die Frage: Welcher verletzt die Würde des Propheten mehr? Klare Antwort von uns allen, vor allem wenn wir in der Frage statt dem Propheten Jesus Christus einsetzen: Die brutale Waffengewalt beleidigt jede Religion!
Mit Freude und Erleichterung hören wir, wie die offiziellen Muslimen-Vertreter in Europa mit den Familien der Opfer und mit Frankreich trauern. Und Tausende französische Muslime betonen, dass sie die Werte des Laizismus, der Trennung von Kirche und Staat voll bejahen. Mutig! Sie wollen wie wir alle hier im Saal, dass im freiheitlichen und aufgeklärten Europa kein Kollektiv-Hass aufkommen kann. Wir sind das genau der Kultur schuldig, die wir gerne als die abendländische bezeichnen. Ärgerlich bloß, und peinlich, dass sich ausgerechnet die Pegida-Demonstranten als die Beschützer des Abendlandes aufspielen, wo viele von ihnen die Ausgrenzung, möglichst Vertreibung von Muslimen und anderen Flüchtlingen im Sinn haben.
Ich betone: das aufgeklärte Abendland. Die Aufklärung, in Mitteleuropa im 18. Jahrhundert gewachsen, hat entscheidend geholfen, autoritäres, bildungsfeindliches und kriegerisches Denken im Staat und in den Kirchen zu überwinden.
Im SPIEGEL Mitte Dezember hat der islamische, in Syrien geborene Dichter Adonis seine zeitweilige Hoffnung erwähnt, dass der arabische Frühling zu einem Nachholen der Aufklärung in der arabischen Welt führt. Die Realität, das weiß auch er, sieht leider anders aus. Er macht umgekehrt der europäischen Welt das große Kompliment, dass sie die Aufklärung und damit freie Meinungsäußerung und die Demokratie zustande gebracht hat.
Bei aller Wichtigkeit der Pressefreiheits-Diskussion dürfen wir aber 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs das Thema Frieden nicht vergessen! Die großen Errungenschaften unseres wunderbaren Europas haben nicht verhindert, dass vor hundert Jahren mitten in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach. Dieser entwickelte sich zu einer gigantischen Katastrophe für eben dieses Europa. 1914 konnte sich Europa noch als das unbestrittene und unbesiegbar erscheinende Zentrum der Welt fühlen. Nach dem Ersten und dann dem noch schrecklicheren Zweiten Weltkrieg ist Europa zu einem weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Nebenschauplatz abgesackt. Wir Europäer haben uns das total selber eingebrockt.
Ich möchte heute einen Aspekt in Erinnerung rufen, der für den Erhalt des Friedens in unserer Zeit von Bedeutung ist, der aber in den Erinnerungskommentaren an 1914 völlig übergangen wurde.
Der Auslöser des Krieges war bekanntlich das Attentat in Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand. Die Täter kamen aus Serbien und Bosnien-Herzegowina und damit aus der ziemlich unterdrückten slawischen Minderheit in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie.
Wenige Wochen nach dem Attentat stellte Österreich-Ungarn Serbien ein äußerst scharfes, auf 48 Stunden befristetes Ultimatum, in welchem zwar noch nicht direkt mit Krieg gedroht wurde, aber indirekt war genau das die Botschaft. In aggressiver, unversöhnlicher Sprache wurde Serbien aufgefordert, die Wiener Regierung zu unterstützen bei der Unterdrückung der gegen die territoriale Integrität der Monarchie gerichteten subversiven Bewegung in Serbien.
Als Reaktion auf das Ultimatum gab Russland den Serben sofort die Zusage, sich zunächst für einen Aufschub des Ultimatums einsetzen und im Falle eines Wiener Angriffs auf Serbien den slawischen Brüdern militärisch beizustehen. Umgekehrt gab die deutsche Regierung der österreichischen volle militärische Rückendeckung. Fünf Tage nach dem Ultimatum erfolgte der militärischen Angriff der Österreicher auf Serbien. Und damit brach in einer Kettenreaktion seitens Russlands, Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens der Erste Weltkrieg aus. Europas katastrophaler Niedergang nahm seinen Lauf.
Betont habe ich vorhin den zentralen Begriff der territorialen Integrität in dem den Krieg auslösenden Ultimatum.
Dieser völkerrechtliche Begriff der territorialen Integrität hat im Jahre 2014 in der Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland wieder eine riesige Rolle gespielt. Nach der zweifellos hoch problematischen Volksabstimmung auf der Krim zum Beitritt zur Russischen Föderation und dann der Annexion der Krim durch Russland wurden die russisch-sprechenden Volksteile in der Ostukraine sowie auch in Moldawien, Georgien und den baltischen Staaten auf einmal aufmüpfig und fingen an, über ähnliche Volksabstimmungen nachzudenken. Und die durch den Verlust der Krim gedemütigte ukrainische Regierung pochte nun auf ihrer territorialen Integrität und griff in den russischsprachigen Ostprovinzen militärisch ein, - während Russland in einer hässlichen Parallelität zu 1914 seinerseits den Rebellen half.
Wenn wir das Völkerrecht und sein Prinzip der territorialen Integrität bemühen, müssen wir uns jedoch klarmachen, dass es in allen Erdteilen und in allen Zeiten immer ein Spannungsverhältnis zwischen der territorialen Integrität eines sprachlich, kulturell, religiös oder ethnisch vielfältigen Staates und dem Selbstbestimmungsrecht der Minderheiten gab und gibt. Das galt für Österreich-Ungarn, es gilt für die Ukraine, für Nigeria, für die Schweiz und für die frühere Sowjetunion.
Frieden heißt, dieses unvermeidliche Spannungsverhältnis auf dem Kompromisswege friedlich zu klären. Wunderbare Positivbeispiele sind die Schweiz und in Italien das Südtirol. Dort hörten die Partisanenkämpfe der deutschsprachigen Minderheit auf, nachdem die Regierung in Rom dem Südtirol sprachlich-kulturell und auch wirtschaftlich eine brauchbare Autonomie zugestanden hatte. Und heute ist man sowohl in Rom wie in Bozen stolz auf diese blühende Provinz.
Das Waffenruhe-Abkommen von Minsk vom September letzten Jahres verlangt zwar ein "Gesetz über einen Sonderstatus" der Provinzen von Lugansk und Donezk. Aber die Art, wie die Regierung in Kiew die Verpflichtung umsetzen wollte, hat die russischsprachige Minderheit nie überzeugt. Und so geht das gegenseitige Morden immer weiter. Und von der Regierung in Kiew hört man praktisch nur noch das Insistieren auf der territorialen Integrität. Die NATO Staaten einschließlich Deutschlands geben ihr dabei Rückendeckung.
Nun müssen wir uns noch einmal an 1989-90 erinnern, als die Sowjetunion zerfiel. Wer hat damals im Westen die territoriale Integrität der Sowjetunion gefordert? Niemand! Im Gegenteil, wir haben den Zerfall begrüßt und bejubelt und wo wir konnten unterstützt, etwa im Baltikum. Ich sage nicht, dass das falsch war. Aber wir müssen wissen, dass man sich in Moskau genau daran erinnert und dass man deshalb unser heutiges Pochen auf territorialer Integrität der Ukraine nicht glaubwürdig finden kann. Der gemeinsame Nenner der westlichen Politik damals und heute ist eben nicht der völkerrechtliche, sondern der anti-russische. Das kann man ja nachvollziehen nach zwei Weltkriegen, Stalinismus und dem Kalten Krieg. Aber wenn wir Frieden in Europa wollen, dann müssen wir auch die russische Seite verstehen.
Überlegungen dieser Art haben mich auch bewogen, den Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ zu unterschreiben, zusammen mit Alt-Bundespräsident Roman Herzog (CDU), Alt-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) und Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Entworfen hatten ihn außer Frau Vollmer Kanzler Kohls Vize-Kanzleramtschef Horst Teltschik (CDU) und von der SPD der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Walter Stützle.
Teltschik erläutert: „Uns geht es um ein politisches Signal, dass die berechtigte Kritik an der russischen Ukraine-Politik nicht dazu führt, dass die Fortschritte, die wir in den vergangenen 25 Jahren in der Beziehung zu Russland erreicht haben, aufgekündigt werden“. (Zitat Ende). Mit gehässiger Polemik gegen die sogenannten Russland-Versteher ist absolut nichts gewonnen!
Der Frieden ist in unserer Zeit nicht nur in Osteuropa gefährdet. Auch die arabische Welt ist zum Pulverfass geworden. Was in unserer Hand liegt, den Frieden zu bewahren und den vom religiösen Irrsinn gefährdeten Volksgruppen beizustehen, müssen wir tun.
Das Thema Frieden muss ganz oben auf der Tagesordnung 2015 sein!
Ich will aber auch noch ein paar Worte zum Klimaschutz sagen. Das ist ja mein eigentliches Arbeitsgebiet, auch in meiner Rolle als Ko-Präsident des Club of Rome. Die vom Menschen verstärkte globale Erwärmung ist brandgefährlich, allerdings eher langfristig. Wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher, kann es in einigen Jahrzehnten passieren, dass große Teile des Grönlandeises und der westantarktischen Eisplatte ins Meer rutschen. Das kann dann sehr schnell vor sich gehen. Ein solcher Abrutsch ist vor etwa 7800 Jahren schon einmal passiert, damals noch ohne menschliches Zutun: Die riesige, dicke Eisplatte, die damals das heutige Labrador und die Hudson Bay bedeckte, brach auseinander und rutschte ins Meer, und der Meeresspiegel stieg um etwa 7 Meter. Wenn so etwas heute passieren würde, würden große Teile der Küstenstädte Europas und der Welt plötzlich unter Wasser stehen, und da leben heute mehr als eine Milliarde Menschen. Stellen wir uns einmal das Flüchtlingsproblem vor, wenn so etwas eintritt. Und stellen wir uns die Kriege um dann noch bewohnbares Land vor!
Die Klimaverhandlungen in Peru vor ein paar Wochen blieben weit hinter dem Notwendigen zurück. 2015 soll bei den Nach-Kioto-Verhandlungen in Paris endlich der Durchbruch kommen. Aber Deutschland hat sich aus seiner vormaligen Führungsrolle beim Klimaschutz weitgehend verabschiedet und lässt die besonders klimaschädliche Braunkohle-Verbrennung boomen, lauter betriebsbereite Gaskraftwerke stillstehen und bremst die Förderung des zuvor rasanten Ausbaus der Wind- und Sonnenenergie. Gewiss hat das alles seinen ökonomischen und sozialen Grund. Aber das heißt eben: In der Auseinandersetzung zwischen Umwelt und Wirtschaft gewinnt nicht nur in Amerika, Indien oder China, sondern auch bei uns immer noch die Wirtschaft.
Wie kommt man aus dem Dilemma heraus? Im Zentrum der Antwort steht für mich die Energieeffizienz oder allgemeiner die Ressourceneffizienz. Eine Verfünffachung der Effizienz ist allemal möglich. In unserem Passivhaus in Emmendingen beziehen wir aus dem Brennwert des Heizmaterials, in unserem Fall Holzpellets aus dem Schwarzwald, zehnmal so viel Wärme wie bei einem typischen Altbau. Einfach weil fast nichts verloren geht, wegen bester Isolierung und Wärmerückgewinnung. Auch kleinere Maßnahmen wie Brennwertheizung, Dachstuhlisolierung, Wärmepumpen und natürlich Solarenergie auf dem Dach bringen schon guten Klimaschutz. Autos kann man so bauen, dass sie nur noch einen Liter Treibstoff pro hundert Kilometer brauchen. Lebensmittel aus der Kaiserstühler Regionalwert AG haben fast keine Transportkosten. Das Recycling von Hochtechnologie-Metallen kann zehnfach verbessert werden durch recyclingfreundlichen Industriedesign.
Die ganze Wirtschaft kann ihre Material- und Energieeffizienz verfünffachen. Das Land der Tüftler und Ingenieure sollte hier ganz vorne stehen! Das wird aber nicht geschehen, solange Energie und Rohstoffe eigentlich ziemlich billig sind. Gerade in den letzten Wochen sind die Preise noch einmal abgesackt, und entsprechend blüht wieder die Verschwendung.
Ich sehe hiergegen keinen besseren Weg als eine Politik der langsamen, stets sozial- und wirtschaftsverträglichen Verteuerung der Ressourcen. Länder die hier voran gehen, dürften auf den Weltmärkten als Gewinner dastehen, weil in ihnen die ohnehin unvermeidliche Technikentwicklung zur Effizienz am schnellsten vorankommt. So eine Strategie ist auf den ersten Blick unpopulär und überraschend, und ich kann nicht eine Neujahrsrede dazu missbrauchen, sämtliche Argumente aufzuführen, die man gegen die naheliegenden Einwände ins Feld führen kann. Ich will lediglich sagen, dass ich hier nicht an einen Blindflug denke, sondern an eine rationale Politik, die den latenten Konflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft überwinden hilft.
Ich komme zum Schluss. Im Jahr 2014 hatten wir auch großartige Freudenfeste, an die man sich gerne erinnert, wie den Gewinn der Fussballweltmeisterschaft. Wir freuen uns auch über die schöne Tatsache, dass es Deutschland im Vergleich zu den meisten Ländern der Erde auch wirtschaftlich gut geht. Und viele freuen sich auch über sozialpolitische Korrekturen wie die Mütterrente, den Mindestlohn und die Mietpreisbremse.
Der Jahreswechsel soll uns an die Zeitlichkeit erinnern, der keiner von uns entrinnen kann. Dazu gehört auch die Besinnung auf langfristiges Denken und Handeln. Wirtschaft und Politik sind häufig zu kurzfristig, zum Schaden der Generation von Enkeln und Urenkeln. Ich wünsche mir im neuen Jahr beim Klimaschutz, bei der Friedensorientierung und bei der gutnachbarschaftlichen Beziehung zu Menschen anderer Kulturen einen Ruck in Richtung der Langfristigkeit, der Sorgfalt, der guten abendländischen Werte, die einfach auch gute menschliche Werte sind!
Vielen Dank für Ihre Geduld!"


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